(ip/pp) Über einen Nachbarantrag gegen ein "erdrückendes" Büro- und Parkhaus in einer städtischen Bebauung hatte das Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht jetzt zu entscheiden. Die Antragstellerin wandte sich als Nachbarin gegen mehrere der Beigeladenen unter Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans erteilte Teilbau- und Baugenehmigungen für ein Wohn- und Parkhaus ("Kabenhof"). Sie selbst war Miteigentümerin des mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebauten Grundstücks Neue Straße 21 ("Ulmenhof"), das durch den Bebauungsplan "Innenstadt Teil VI" als Kerngebiet mit Grundflächenzahl 0,9, geschlossener Bauweise und drei Vollgeschossen als Höchstgrenze festgesetzt war. Dessen Hauptgebäude an der Ecke Neue Straße/Lindenstraße verfügte über drei Vollgeschosse und ein Staffelgeschoss. Der Firstpunkt seines Zeltdaches erreichte eine Höhe von knapp über 16 m; die Traufenhöhe lag bei 12,60 m. Nach Westen und Süden setzte sich das Gebäude mit Flachdach in Höhe von 9,83 m fort. Darin eingebettet war das Tonnendach eines Staffelgeschosses mit einer Höhe von bis zu 12,50 m.

Vom Baugrundstück für den Kabenhof war der Ulmenhof durch die Lindenstraße und eine sich nach Westen anschließende Verkehrsfläche getrennt, die zum Bahnhofsvorplatz führte, wo weiter westlich zwei öffentliche Verkehrsflächen für "Park & Ride" festgesetzt waren. Danach war über die Straßenfortsetzung auch die Anlieferung für den Kabenhof vorgesehen. Nach dem "Verkehrskonzept Lindenstraße" sollte an dieser Stelle langfristig eine "Südtangente" entstehen. Der geringste Gebäudeabstand über diese Verkehrsfläche hinweg lag bei 16,60 m. Der durchschnittliche Abstand war von der Antragstellerin mit 19,50 m angegeben, von der Antragsgegnerin mit 22,57 m.

Der Kabenhof - Lindenstraße 2 bis 10 - wurde zwischen der Lindenstraße und dem Bahngelände im Plangebiet "Bahnhof" errichtet. Der Bebauungsplan setzte hier Kerngebiet (MK 1) mit Grundflächenzahl 0,9, Geschoßflächenzahl 2,7, drei Vollgeschossen als Höchstmaß und geschlossener Bauweise fest. Eine vordere Baugrenze hielt einen Meter Abstand ein von einer festgesetzten öffentlichen Straßenverkehrsfläche im Bereich der Lindenstraße und deren westlicher Fortsetzung in Richtung Bahnhofsvorplatz. Der Bebauungsplan traf u. a. folgende textliche Festsetzungen:

"1.2 Im Kerngebiet MK 1 und MK 2 sind Vergnügungsstätten gem. § 1 Abs. 5 BauNVO unzulässig ......
2.1 Überschreitung der festgesetzten Geschossflächenzahl ("Tiefgaragenbonus"). Die zulässige Geschossfläche erhöht sich gem. § 21a Abs. 5 BauNVO um die Fläche der Garagen, die unter der Geländeoberfläche erstellt werden."

Das Gesamtvorhaben der Beigeladenen bestand aus einem Gebäudekomplex mit ca. 1.600 m² Laden- und ca. 1.500 m² Bürofläche sowie einem Parkhaus mit 450 Stellplätzen, von denen 200 der Antragsgegnerin als P+R-Stellplätze zur Verfügung stehen sollten. Im südwestlichen Teil war ein Büroturm von 17,33 m Höhe mit drei Vollgeschossen und einem Staffelgeschoss vorgesehen. Nach Nordosten schloss sich ein Gebäudeteil von 13,96 m Höhe an, der ein Parkdeck im Kellergeschoss, eine Ladenzeile im Erdgeschoss und vier Parkdecks aufweisen sollte. Darauf schlossen die Antragsgegnerin und die Beigeladene einen Vertrag über das Vorhaben, u. a. über den Umbau der öffentlichen Verkehrsfläche "Lindenstraße" und den Umbau des Bahnhofsvorplatzes "Nord". Eine Teilbaugenehmigung für das Untergeschoss (Erdarbeiten, Fundamente, Untergeschoss mit Tiefgarage bis Erdgeschossfußboden) enthielt eine Befreiung für die Überschreitung der Baugrenze nach beigefügten Bauvorlagen, die sich nach Auffassung der Antragsgegnerin auf etwa 650 m² beläuft, nach Auffassung der Antragstellerin auf über 1.000 m². An der Ostseite ermöglicht die Befreiung eine Gebäudetiefe von 22 m statt 8,5 m; der Abstand zum Ulmenhof verringert sich an dieser Stelle von etwa 30 m auf 20 m. Größere Überschreitungen der Baugrenzen sind auch auf der vom Ulmenhof abgelegenen Ostseite des Gebäudes im Bereich der Parkhauseinfahrt und der dort zugelassenen Spielhalle erlaubt. Teilweise bleibt der Bau hinter der festgesetzten Baugrenze zurück.

Eine weitere Teilbaugenehmigung für das Erdgeschoss, den Büroturm und die Treppentürme für das Parkhaus umfasste eine Befreiung bezüglich der Geschossigkeit (von drei auf vier Vollgeschosse), außerdem eine Befreiung von der Nr. 5 der in den Plan aufgenommenen Örtlichen Bauvorschriften (Dachbegrünung). Eine Nachtragsbaugenehmigung betraf die "Nutzung Büro im 3. OG u. Staffelgeschoss". Unter dem gleichen Datum erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen eine widerrufliche (Nachtrags-)Baugenehmigung "Nutzung Spielstätte im UG und EG" und zugleich einem Herrn D. eine Befreiung von der textlichen Festsetzung Ziff. 1.2 des Bebauungsplans (Vergnügungsstätte) mit Widerrufsvorbehalt für den Fall, dass dieser nicht - wie zugesagt - eine andere Spielstätte aufgebe oder eine andere Spielstätte errichte; letztere Bescheide sind Gegenstand des Verfahrens 1 ME 281/08.

Die Antragsgegnerin der Beigeladenen erteilte darauf eine abschließende Baugenehmigung für den Neubau eines Geschäfts- und Parkhauses. Die Antragsstellerin erhob Widersprüche gegen alle genannten Bescheide. Sie beantragte bei der Antragsgegnerin zugleich die Aussetzung der Vollziehung, die die Antragsgegnerin ablehnte. Das Verwaltungsgericht hatte vorläufigen Rechtsschutz im Wesentlichen mit der Begründung versagt, gebietsübergreifender Nachbarschutz komme der Antragstellerin nicht zu. Ihr Grundstück liege in einem anderen Plangebiet, das durch die Lindenstraße bzw. die geplante "Südtangente" vom Baugrundstück getrennt sei. Darüber hinaus messe der Bebauungsplan "Bahnhof" seinen Festsetzungen über die Zahl der Vollgeschosse, die Geschoss- und die Grundflächenzahl keine nachbarschützende Wirkung zu; die Begründung führe insoweit nur städtebauliche Absichten an.

Das OVG entschied:

“1. Für die Annahme der "erdrückenden Wirkung" eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude.

2. Im Kerngebiet mit festgesetzter geschlossener Bauweise hat ein 140 m langes Büro- und Parkhaus keine Nachbarrechte verletzende "abriegelnde Wirkung".

OVG Niedersachsen, Az: 1 ME 282/08