(ip/RVR) Der Bundesgerichtshof hatte einen Fall, der sich mit der Übertragung eines enteigneten Grundstücks auf den Vorerben beschäftigte, zu entscheiden.

Die Klägerinnen sind die Nacherben des im Jahre 1975 verstorbenen Erblassers. Vorerbin war seine zweite Ehefrau, die im Jahre 2006 verstorben ist. Die Beklagten sind ihre durch Testament eingesetzte Erben.

Der Erblasser war ursprünglich Eigentümer mehrerer landwirtschaftlicher Grundstücke in B. 1954 verließ er das Gebiet der DDR. Mit Wirkung vom 27. Oktober 1959 wurde für die Grundstücke der Rat der Stadt D. als Treuhänder bestellt. Im Februar 1969 wurden die Grundstücke in Volkseigentum der LPG F. durch Kaufvertrag überführt.

1968 setzte der Erblasser seine zweite Ehefrau zur Vorerbin und seinen Sohn aus erster Ehe als Nacherben ein, wobei an dessen Stelle dessen Abkömmlinge treten sollten. Die Ehefrau war berechtigt, die von ihr vorgenommene Erbeinsetzung zugunsten des Nacherben bzw. seiner Abkömmlinge jederzeit zu widerrufen. Der Sohn des Erblassers verstarb im Jahre 1980. Die Klägerinnen sind seine Abkömmlinge.

1994 wurden die Grundstücke mit Bescheid des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen des Landes B. auf die Vorerbin zurück übertragen. Sie wurde im Grundbuch eingetragen. Es fehlte jedoch ein Vermerk über die Vor- und Nacherbschaft.

Im November 1995 schloss die Vorerbin mit der B. einen Landpachtvertrag über die Grundstücke.

Aufgrund des Streits der Parteien über das Eigentum an den Grundstücken hinterlegte die B. den fälligen Pachtzins für das vierte Quartal 2006 in Höhe von über 4.000 Euro beim Amtsgericht Luckenwalde. Die Klägerinnen nehmen die Beklagten auf Auszahlung dieses Betrages in Anspruch.

Das Amtsgericht hat die Beklagten verurteilt, der Auszahlung des hinterlegten Betrages nebst aufgelaufener Zinsen an die Klägerinnen zuzustimmen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten war erfolglos. Mit der Revision erstreben die Beklagten die Abweisung der Klage.

Der Bundesgerichtshof entschied, dass das Berufungsurteil rechtlicher Nachprüfung standhält.
Es ist zutreffend, dass die Grundstücke im Zeitpunkt des Vorerbfalles im Jahre 1975 mit dem Tod des Erblassers nicht mehr zum Nachlass gehörten, da der Erblasser spätestens mit der Überführung der Grundstücke in Volkseigentum enteignet worden war. Rückübertragungsansprüche hinsichtlich der Grundstücke standen dem Erblasser im Zeitpunkt seines Todes ebenfalls nicht zu. Eine realisierbare Vermögensposition konnte überhaupt erst durch das Inkrafttreten des Vermögensgesetzes am 29. September 1990 erlangt werden, da der Rückerwerb des enteigneten Vermögens hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Realisierung vor Inkrafttreten des oben erwähnten Gesetzes ungewiss war.

„Die Eigentümerstellung der Klägerinnen an den Grundstücken ergibt sich auch nicht aus einer unmittelbaren Anwendung der Surrogationsvorschrift des § 2111 Abs. 1 Satz 1 BGB.“ Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift ist, dass es sich um einen Erbschaftsgegenstand oder ein zur Erbschaft gehörendes Recht handelt, was vorliegend nicht der Fall ist. „Der sich aus dem Vermögensgesetz ergebende Rückerstattungsanspruch entsteht unmittelbar und originär in der Person des Berechtigten, hier der Vorerbin.“ Da der Erblasser bereits vor Inkrafttreten des Vermögensgesetzes verstorben ist, kommt eine unmittelbare Anwendung des § 2111 BGB nicht in Betracht.

Es ist jedoch zu beachten, dass wenn der Vorerbfall vor dem Inkrafttreten des Vermögensgesetzes eingetreten ist und dann dem Vorerben durch Rückübertragungsbescheid Vermögenswerte nach § 3 VermG übertragen werden, § 2111 Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechend anzuwenden ist. Auch wenn die Vorschrift des § 2111 BGB Ausnahmecharakter hat, bedeutet dies nicht, dass von vornherein keine entsprechende Anwendung zum Schutz des Nacherben möglich ist. Es kommt eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 2111 BGB in Betracht: „Eine Analogie ist zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen, wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.“

Im vorliegenden Fall ist kein Grund ersichtlich, weshalb dem Vorerben ein Vorteil daraus erwachsen sollte, dass die Ausgleichsleistungen nicht schon in der Person des Erblassers, sondern erst in der Person des Vorerben entstanden sind, denn der Umstand, ob der Erblasser vor oder nach Inkrafttreten des Vermögensgesetzes verstorben ist, rechtfertigt keine unterschiedliche Behandlung dieser beiden Fallgruppen.

Der Sinn und Zweck des Vermögensgesetzes ist es, den Zustand wieder herzustellen, der ohne die Enteignung bestünde. In diesem Fall darf der Erbe – hier die Vorerbin – nicht besser stehen als er stünde, wenn überhaupt keine Enteignung stattgefunden hätte. Dies wäre aber dann der Fall, wenn die Vorerbin die an sie zurück übertragenen Grundstücke behalten bzw. an die Beklagten als ihre Erben weitergeben könnte, während die Klägerinnen als Nacherbinnen leer ausgingen, obwohl ihnen die Grundstücke zugefallen wären, wenn es keine Enteignung gegeben hätte. „Ansprüche aus dem Vermögensgesetz unterfallen daher, auch wenn der Erbfall vor Inkrafttreten dieses Gesetzes eintrat, in entsprechender Anwendung dem § 2111 BGB.“

Darüber hinaus scheitert der Anspruch der Klägerinnen auf Zustimmung der Auszahlung des hinterlegten Pachtzinses auch nicht daran, dass der Pachtvertrag von der Vorerbin mit der B. geschlossen wurde und die Beklagten Erben der Vorerbin sind.

Die Revision der Beklagten wird hiermit zurückgewiesen. Den Klägerinnen steht gegen die Beklagten gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. i.V. mit § 2130 Abs. 1 Satz 1, § 2139 BGB ein Anspruch auf Zustimmung zur Auszahlung des beim Amtsgericht Luckenwalde hinterlegten Pachtzinsen in Höhe von über 4.000 Euro zu, da sie mit dem Nacherbfall Eigentümer der Grundstücke geworden und zu diesem Zeitpunkt nach §§ 2135, 1056 Abs. 1, 566 Abs. 1 BGB auch in den zwischen der Vorerbin und der B. geschlossenen Pachtvertrag eingetreten sind.

Der Leitsatz fasst zusammen:
„Wird einem Vorerben während der Dauer der Vorerbschaft ein enteignetes Grundstück auf der Grundlage des Vermögensgesetzes zurück übertragen, welches ursprünglich im Eigentum des vor Inkrafttreten des Vermögensgesetzes (29. September 1990) verstorbenen Erblassers stand, so fällt das Eigentum am Grundstück in entsprechender Anwendung des § 2111 BGB mit dem Eintritt des Nacherbfalls in das Eigentum des Nacherben.“


BGH, Urteil vom 17.03.2010, Aktenzeichen: IV ZR 144/08


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